Börsen-Zeitung
26.11.2022

Die Zukunft mittelständischer Übernahmetransaktionen – Eigenkapitalentwicklung im Zeichen von Liefer- und Energiekrise

Der Mittelstand, das Wunderkind der deutschen Wirtschaft, strauchelt. Nach einem Jahrzehnt des Aufschwungs stellte die Corona-Pandemie vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) vor signifikante Herausforderungen. Dank rekordverdächtigen Eigenkapitalquoten und Staatshilfen in einem bislang nie dagewesenen Ausmaß konnte sich die Wirtschaft nach der ersten Krisenwelle verhältnismäßig schnell erholen. So wurde 2021 in Erwartung an eine stabile Zukunft bereits wieder genauso viel investiert wie in der Pre-Corona-Ära. Einzige Ausnahme: Der Außenhandel mit China und die damit verbundenen Lieferkettenprobleme blieben aufgrund der „Zero-Covid“-Strategie im Reich der Mitte auf wackeligen Beinen.

Doch der Wiederaufschwung sollte jäh enden: Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist der erhoffte Corona-Rebound Anfang dieses Jahres kläglich zusammengebrochen. Laut der KfW sinkt der Ausblick für die Eigenkapitalquoten im deutschen Mittelstand auf ein deutlich düstereres Niveau als noch im Vorjahr, und auch die Investitionspläne für 2022 und 2023 gehen schlagartig zurück. Der Grund liegt in einem sprunghaft angestiegenen Zins- und Inflationsniveau, Unsicherheiten in der Gas- und Stromversorgung und in geopolitischen Risiken – nicht nur in Osteuropa. Gerade für Mittelständler kommt dieser Einbruch zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn viele Unternehmer aus der Baby-Boomer-Generation, die einen überproportionalen Anteil der KMU-Inhaber in Deutschland darstellt, stehen unmittelbar vor der Übergabe ihres Lebenswerkes – und das ohne passende Nachfolgelösung. Die Folge: Immer mehr setzen auf den Verkauf ihres Unternehmens. Ein Trend, der seit Jahresbeginn das Angebot an zum Verkauf stehenden Unternehmen in die Höhe schießen ließ.

Da Investoren aufgrund des unsicheren Marktumfeldes derzeit vermehrt zurückhaltend agieren, drückt das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage die Kaufpreise. Auf der Angebotsseite lassen die gestiegenen Material- und Energiekosten sowie gegebenenfalls rückläufige Umsätze die Betriebsergebnisse sinken und die unsicheren Aussichten führen aufgrund eines schlechteren Chancen-Risiko-Profils zu niedrigeren Bewertungsmultiplikatoren.

Als wäre dies nicht genug, sorgt zudem eine Korrosion der Eigenkapitalquoten und der damit verbundene Verzehr von Cash-Reserven für eine weitere Reduktion des Equity Values. Auf der Nachfrageseite sorgen die gestiegenen Zinsen für eine höhere Verzinsung risikoärmerer Alternativanlagemöglichkeiten, erhöhen die Kosten der Akquisitionsfinanzierung und reduzieren den gerade für Finanzinvestoren wichtigen Leverage-Effekt. Zwar ist das Geschäftsklima für Investoren in Deutschland aktuell rau, zeitgleich bieten sich durch die Krise aber auch günstige Einstiegsmöglichkeiten.

In Zeiten der Zinswende wird der Zugang zu klassischen Bankdarlehen teurer und komplizierter, als er für viele Mittelständler ohnehin schon war. Gerade weil zahlreiche Unternehmen vor ungelösten Nachfolgeregelungen stehen und sie mit Dekarbonisierung, Automatisierung, Fachkräftemangel sowie Digitalisierung viele kapitalintensive Herausforderungen parallel lösen müssen, zeigen sich Mittelständler so offen wie noch nie gegenüber dem Einstieg von Investoren. Um die hohen Finanzierungskosten und den deutlich geringeren Leverage-Effekt zu kompensieren, müssen Finanzinvestoren neue Wege gehen, wenn sie weiterhin hohe Eigenkapitalrenditen erzielen möchten. Gerade in stark fragmentierten Branchen wie IT & Software oder Handwerk setzen Investoren seit geraumer Zeit verstärkt auf Buy-and-Build-Strategien. Denn der Aufbau einer sich komplementär ergänzenden Unternehmensgruppe ermöglicht es Finanzinvestoren in Verkaufsprozessen nicht nur wie strategische Erwerber aufzutreten, sondern auch Synergiepotenziale einpreisen zu können.

Zudem treibt die Multiple-Arbitrage die Eigenkapitalrenditen beim Exit in die Höhe. Auch für Strategen bietet der Markt derzeit mehr denn je interessante Kaufoptionen. Insbesondere die in Deutschland überproportional vertretenen Familienunternehmen haben in der Coronakrise Resilienz bewiesen und verfügen weiterhin über gesunde Eigenkapitalreserven. Strategische Erwerber finanzieren ihre Akquisitionen häufig ohne oder mit geringerem Einsatz von Fremdkapital als Finanzinvestoren, sodass für sie der Effekt der gestiegenen Zinskosten weniger drastisch zu Buche schlägt. Da die Bewertungen von Finanzinvestoren inzwischen deutlich konservativer ausfallen können und Strategen in der Lage sind, eine Aufpreisprämie zu zahlen, könnte jetzt deren große Stunde schlagen. Gerade für inländische Unternehmen dürfte die Konkurrenz durch ausländische Erwerber aufgrund der sich abzeichnenden Trends zur De-Globalisierung abnehmen. Unternehmenszukäufe dienen zudem als probates Mittel, um sich unabhängiger von Lieferketten und Preisschwankungen zu machen.

Ein gut passendes Beispiel hierfür ist die jüngste Akquisition der Schwarz-Gruppe (Lidl), welche in Folge der Preiskämpfe mit ihren Lieferanten zuletzt die Erfurter Teigwaren GmbH, Deutschlands ältestes Nudelwerk, erworben hat. Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie versuchten Unternehmen durch den Zukauf von Firmen der gleichen Branche die Produktionskapazität zu erweitern und so nicht nur dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Durch den Erwerb komplementär aufgestellter Anbieter soll zudem das eigene Leistungsportfolio erweitert und der Eintritt in neue Märkte realisiert werden. Gleichzeitig setzen viele vermehrt auf den Einsatz von Corporate Venture Capital, um digitale Geschäftsmodelle in ihren Sektoren zu entwickeln und das bestehende Geschäft zu digitalisieren. Angesichts der zahlreichen Krisen wird die richtige Strategie in puncto Unternehmensübernahmen gerade im deutschen Mittelstand künftig noch mehr an Bedeutung gewinnen. Das Wiedererstarken der Konkurrenz von inländischen, strategischen Erwerbern hat für Finanzinvestoren nicht nur Nachteile. Es ergeben sich nun zusätzliche Optionen beim Weiterverkauf der Portfoliofirmen, die vor Corona wahrscheinlich noch nicht in Betracht gekommen wären: Die Schwarz-Gruppe zum Beispiel hat die Erfurter Teigwaren GmbH von dem Finanzinvestor QVM Privatkapital GmbH beziehungsweise Lampe Privatinvest erworben.