Fachbeiträge
Patrick Seip
30.01.2019

Trugschluss “Nachfolgewelle”?

Und wieder ist es soweit: Pünktlich zum Jahresbeginn veröffentlicht die KfW die Zahlen der jüngsten Erhebung im Mittelstandspanel. Und wie auch in den letzten Jahren rollt angeblich erneut eine “Nachfolgewelle” über Deutschland hinweg: 200.000 Mittelständler suchen bis Ende 2020 “händeringend” einen Nachfolger.

Die Welle ist Normalität
Unabhängige Studien zeigen, dass in Deutschland bereits seit vielen Jahren stets für rund 100.000 Unternehmer im deutschen Mittelstand jährlich die Nachfolge ansteht.200.000 Nachfolgesituationen innerhalb von zwei Jahren (bis Ende 2020) sind folglich Normalität und keine Ausnahme.

Gesunde Relation
Unterzieht man nun diese rund 100.000 Nachfolgesituationen pro Jahr einer detaillierteren Analyse, ergibt sich folgendes Bild: Der deutsche Mittelstand besteht aus rund 3,7 Millionen Unternehmen (Quelle Kfw Mittelstandspanel 2018). D.h. für lediglich 3 % aller Unternehmen steht die Staffelübergabe jährlich an. Das ist an sich bereits eine völlig gesunde Relation, die keinen Rückschluss auf eine eventuelle “Gefährdung des Rückgrats der deutschen Wirtschaft” zulässt.

Strukturwandel
Bezieht man nun die Stratifikation des deutschen Mittelstandes in die Analyse mit ein, wird Folgendes deutlich: 94% aller Unternehmen haben einen Umsatz von weniger als 2 Millionen Euro , 90 % weniger als 10 Beschäftigte . D.h. die übergroße Mehrheit der betroffenen Unternehmen ist aufgrund der zumeist zu starken persönlichen Bindung an den Inhaber nur schwer bis gar nicht übertragbar. Verschärfend kommt hinzu, dass diese Kleinstunternehmen zwar durchaus die Keimzellen für die spätere Entwicklung größerer Mittelständler darstellen können, häufiger jedoch in wenig zukunftsträchtigen Branchen beheimatet sind (Einzelhandel), die gegenwärtig einer verstärkten, und insgesamt völlig angemessenen/natürlichen Marktbereinigung ausgesetzt sind.

Nur für wenige Unternehmen besteht tatsächlich auch ein Markt
Lediglich für 8 – 10.000 Unternehmen besteht pro Jahr demnach auch eine tatsächliche Nachfrage. Hiervon geben nun allerdings bereits zwei Drittel an, entweder die Nachfolge gelöst zu haben oder sich zumindest bereits in Gesprächen darüber zu befinden (Quelle KfW Mittelstandspanel). Es bleiben folglich lediglich 2.640 bis 3.300 Unternehmen übrig, die ggf. mit professioneller Hilfe pro Jahr an den Markt gebracht werden können. Von einer “Welle” kann wohl kaum ausgegangen werden.

Fazit
Die vermeintliche “Nachfolgewelle” entpuppt sich als jahrzehntealtes Kontinuum. Wenn bei lediglich 3 % aller Unternehmen jährlich eine Nachfolge ansteht, handelt es sich grundsätzlich auch um einen gesunden Erneuerungsprozess, der zudem hauptsächlich Kleinstunternehmen betrifft. Hier herrscht also erst einmal Entwarnung.

Hochgradig verbesserungswürdig sind allerdings die Hilfestellungen, die Unternehmern gegeben werden können, die mit einem Umsatz von weniger als 5 Millionen Euro jenseits des Investitionsradars klassischer Investoren stehen, aber die überwältigende Mehrheit der Nachfolgesituationen darstellen.

Hier sind Finanzinvestoren und Family Offices aufgerufen, Ihre Mindestinvestitionskriterien zu überprüfen und anzupassen. Auch für strategische Käufer bieten sich in diesem bislang vernachlässigten Bereich erhebliche Akquisitions-, vor allem aber Innovationspotentiale. Besonders geeignet sind diese Fälle aber für Privatpersonen, die sich über ein sog. Management Buy In in solche Unternehmen einkaufen. Eine immer attraktiver werdende Alternative zum Angestelltendasein.

Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang aber eine adäquate Ausbildung der nachrückenden Generationen: Hier sollte das Unternehmertum stärker als Alternative gegenüber dem Anstellungsverhältnis vermittelt werden, um den Markt für die Nachfolge auch für Absolventen attraktiv werden zu lassen. Warum eine hochriskante Start-up Karriere wagen, wenn ich mit einem bereits etablierten Unternehmen gleich voll durchstarten kann?

Die Fälle nehmen glücklicher Weise zu, in denen Absolventen einer Ausbildung zwei Jahre lang an der Seite des Altinhabers “on the job” auf die Geschäftsführung vorbereitet werden und danach die Führung des Unternehmens durchaus sehr erfolgreich übernehmen.

 

1 Prof. Dr. Birgit Felden, Leiterin des Studiengangs “Unternehmensgründung und -nachfolge” an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
2 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239418/umfrage/unternehmen-in-deutschland-nach-umsatzgroessenklassen/