Hamsterrad oder Tretmühle?
100 Ex-Unternehmer, Noch-Unternehmer und Investoren diskutierten zusammen mit Werner Tiki Küstenmacher, Autor des Weltbestsellers “Simplify your life” die Frage, wie der Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben für Unternehmer gelingen kann und welche Auswirkungen der Unternehmensverkauf auf die Work-Life-Balance eines Firmeninhabers haben kann. Hier einige Erkenntnisse.
Was ist denn mit dem Selbstbild des Unternehmers passiert?
“Viel Arbeit, wenig Zeit”. Befragt man Unternehmer, wie es Ihnen ergeht, dann wird zunehmende Verunsicherung aufgrund steigender Flexibilitätsanforderung, wachsende Geschwindigkeit und zunehmende Komplexität des Geschäftes beklagt. Auch die zunehmende Regulatorik (GSDVO) wird häufig genannt, vor allem aber die Mitarbeiterführung und die gefühlte soziale Verantwortung.
Beklagt wird auch die Einsamkeit. Entscheidungen trifft der Unternehmer „immer allein“, meistens ohne geeigneten Vertrauten im Unternehmen. Übertriebener Perfektionismus, Angst vor Kontrollverlust und personifizierte Gewinnmaximierung münden in das Gefühl der persönlichen Überlastung und lassen aus dem Hamsterrad häufig eine Tretmühle werden. Der Unternehmer hat sich nicht selten im selbstgeschaffenen Universum erfolgreich versklavt.
Für viele ist das “unerträglich und keinem anderen zuzumuten”. Unternehmer möchten ihre Kinder sogar durch den Verkauf des Unternehmens proaktiv vor dem Unternehmertum schützen. “Die sollen sich das nicht antun”. Was für ein negatives Selbstbild des Unternehmers steckt hinter dieser Aussage! Ist Unternehmertum wirklich so schlimm, dass ich meine eigenen Kinder davor schützen muss?
Wen wundert es da noch, dass es immer weniger werden, die in die Fußstapfen eines Unternehmers treten möchten?
Woher rührt dieses negative Selbstbild, vor allem aber, was löst es aus?
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: mit Anfang 50 befindet sich der Mensch auf dem Höhepunkt seiner Ängste. Viele fassen übrigens genau zu diesem Zeitpunkt, als Getriebene des limbischen Systems, den Entschluss, das Unternehmen zu veräußern.
Der Unternehmer wird zudem durch seine Umwelt zudem oftmals negativ konditioniert, aber das, was wir als schlimm empfinden, ist bei genauer Betrachtung der Fakten häufig gar nicht so schlimm.
Ein schönes Beispiel hierfür ist die Mär von den angeblich Hunderttausenden ungelösten Nachfolgeregelungen im deutschen Mittelstand. Tatsächlich entpuppt sich diese vermeintliche “Nachfolgewelle” jedoch als jahrzehntealtes Kontinuum, ist also völlig normal. Noch nicht einmal 3 % der Gesamtunternehmen sind davon betroffen. Das ist gesunder Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft und keinesfalls kritisch für den Fortbestand des deutschen Mittelstandes.
Nicht gelebte/versäumte Bedürfnisse und Wünsche werden während der aktiven Zeit kontinuierlich nach hinten geschoben. Nimmt diese Sparsamkeit gegenüber den eigenen Bedürfnissen überhand, droht irgendwann der Burnout und das Unternehmen wird verkauft.
Diese emotionale Sparsamkeit des Unternehmers kann durchaus riskant sein. Was, wenn ich später keinen Käufer für mein Unternehmen finde? Und wie will ich z.B. meinen Kindern die entgangene Aufmerksamkeit zurückgeben, wenn diese inzwischen aus dem Haus sind?
Woher kommt dieses Unterordnen der eigenen Bedürfnisse unter das große Ganze (das Unternehmen)? Jetzt sparen, später konsumieren ist der Grundsatz der calvinistischen Erwerbsethik/des Gewinnstrebens, der die Hoffnung auf Erlösung in der Zukunft durch Gewinn/Reichtum zu Grunde liegt. In dieser Gedankenwelt wurden viele erzogen, leben also letztlich noch im Wertesystem der vorangegangenen Generation. Ein selbstbestimmtes Leben sieht anders aus.
Verschärfend kommt hinzu, dass sich die Arbeitsmarktsituation aufgrund des Fachkräftemangels komplett gedreht hat. Der Arbeitgeber wird plötzlich vom Treibenden zum Getriebenen: “Work life Balance, kann ich nicht mehr hören. Es gibt keine Arbeitnehmer mehr, die den gleichen Biss wie wir an den Tag legen. Die wollen alle um 5 nach Hause.” Mit der Work life Balance halten die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber letztlich einen Spiegel vor, in dem die versäumten Bedürfnisse deutlich zu Tage treten.
Letztlich tauscht der Unternehmer mit dem Verkauf des Unternehmens Zeit gegen Geld. Der Unternehmensverkauf wird so zum Kompensationsgeschäft für die Entbehrungen des Unternehmerlebens. Geld wird zur Ersatzwährung für entgangene Emotionen.
Welche Handlungsempfehlungen gibt es?
Geduld. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Mitte 50 nehmen die Ängste wieder ab. Es wird besser und kann sich also lohnen, sich diesen Punkt bewusst zu machen, wenn man mal wieder als Unternehmer meint “es geht nicht mehr”.
Das Gefühl, dass sich “die Welt immer schneller dreht” ist übrigens mit zunehmendem Alter ganz normal, kann aber durch ein “Reframing” – eine Umdeutung der Situation – und eine Betrachtung der Fakten deutlich verbessert werden. Insbesondere der Ausbruch aus der Routine bringt hier Entschleunigung.
Als zusätzliche Alternative empfiehlt sich die frühzeitige und konsequente Delegation von Verantwortung, um Freiräume für das zu schaffen, was den Unternehmer tatsächlich motiviert. “Ein guter Unternehmer ist auch ein guter Unterlasser”. 80 % statt 100 % sind häufig völlig ausreichend.
Der Verkauf des Unternehmens sollte also das letzte Mittel bleiben. Durch den Verkauf der Firma wird dem Unternehmer zwar häufig “die Last von den Schultern genommen”, dann lebt er befreit wieder auf und ist zurück im Flow.
Das kann aber durchaus zu einem skurrilen Ergebnis führen: “Endlich kann ich mich wieder im Unternehmen (!) um das kümmern, was mir eigentlich Freude bereitet.” Die ehemalige Tretmühle wird durch Eigentümerwechsel plötzlich wieder zum Laufrad.
Tretmühle oder Laufrad sind folglich selbstgewähltes Unternehmerschicksal. Je nachdem, ob ich mein Leben selbstbestimmt oder fremdbestimmt gestalte, ändert sich die Wahrnehmung. Hier kann ich durch Reframing einen Perspektivwechsel erreichen, der zu mehr Lebensqualität führt. Raum für Emotionen und das Ausleben von Bedürfnissen bereits während des Unternehmerlebens sind wichtige Stabilisatoren, die den Verkaufswunsch deutlich in den Hintergrund treten lassen.
Das libertäre Weltbild hat zudem die autoritäre Erziehung verdrängt. “Du machst das jetzt, mein Sohn” war vielleicht weniger Ausdruck autoritärer Strukturen im Zuge der Unternehmensnachfolge, als vielmehr das Resultat eines Mangels an Alternativen.
Ein nennenswerter Markt für mittelständische Unternehmen begann sich erst vor gut zwanzig Jahren auszubilden. Insbesondere das Aufkommen der Finanzinvestoren hat diese Entwicklung massiv beschleunigt. Plötzlich etablierte sich ein zusätzlicher Käuferkreis mit tiefen Taschen. Das ging einher mit zunehmender Professionalisierung des Verkaufsprozesses, die sich im Aufstieg von spezialisierten Beratungshäusern manifestierte.
Die Haltefrist von Geschäftsanteilen verkürzt sich, da inzwischen dafür ein Markt mit sehr hoher Nachfrage besteht. Vielleicht ist es inzwischen also ebenfalls ganz normal, dass ein Unternehmen früher veräußert, also nicht mehr über Generationen weitergereicht wird?