Working Capital Management – Krisenzeiten verschieben Optimierungsgrundsätze, die auch im Rahmen von Unternehmensbewertungen und -verkäufen berücksichtigt werden müssen
„Cash is King“ – Working Capital Management steht grundsätzlich im Bilde der Optimierung unternehmensübergreifender Prozesse und der Erreichung von maximaler Prozessexzellenz durch die Freisetzung von gebundener Liquidität. Im weiteren Sinne bringen solche Prozessoptimierungen aber auch Profitabilitäts- und Kundenzufriedenheitssteigerungen sowie die Minimierung bestimmter Zahlungsrisiken mit sich, denn die Beschleunigung des Cash-Conversion-Cycle, die Reduzierung der Lagerdauer oder die effizientere Abwicklung des Prozesses von der Kundenbestellung bis hin zur Produktlieferung führen zu einer entsprechenden Verbesserung für alle in der Prozesskette involvierten Parteien.
Was aber, wenn die gesamte Prozesskette unter dem Vorbehalt möglicher Krisenauswirkungen bzw. der damit einhergehenden Unsicherheiten steht? An dieser Stelle müssen Optimierungsgrundsätze des Working Capital Managements unter gegebenen Umständen „neu gedacht“ werden und das ein oder andere Optimierungspotenzial ggf. gegen ein höheres Maß an Sicherheit eingetauscht.
Ganzheitliches Working Capital Management & Optimierungsansätze
Durch stringentes Working Capital Management und entsprechende Optimierungen dieser Kenngröße können Verbesserungen der Unternehmensperformance in Höhe von rund 5-10 % des Gesamtumsatzes erzielt werden. Um die tatsächlichen Optimierungspotenziale aufdecken zu können, ist eine End-to-End-Betrachtung aller das Working Capital beeinflussenden Faktoren und Prozesse nötig – im Allgemeinen besteht das Ziel jedoch darin, ein möglichst geringes Working Capital Level bei gleichzeitig möglichst hohem Liquiditätsstatus zu generieren.
Für die Analyse des Working Capital sollte idealerweise eine ganzjährige sowie quartalsweise Betrachtung – in jeweils absoluten Zahlen sowie in Prozent des Umsatzes im Betrachtungszeitraum – angestellt werden. Ziel sollte grundsätzlich eine geringe Rate des Working Capital in Bezug auf den Umsatz sein. Allerdings existieren hierbei keine allgemeingültigen Grenzwerte, da diese branchen- und unternehmensspezifisch sehr unterschiedlich ausfallen. Somit bietet sich ein Vergleich der eigenen, internen Entwicklung sowie ein Branchen- oder Peer-Group-Vergleich an, um die Kennzahlen in Relation zu setzen und eine Bewertung der eigenen Performance anzustellen.
Nach der Identifikation der jeweiligen Optimierungspotenziale in den relevanten Bereichen sollte eine Klassifizierung der einzelnen Potenziale erfolgen. In diesem Rahmen ist eine Betrachtung hinsichtlich des Wertfaktors der einzelnen Verbesserungspotenziale sowie der Einfachheit hichsichtlich der Implementierung derselben zu empfehlen. Die Kombination dieser beiden Faktoren entscheidet schließlich über die Priorisierung der einzuleitenden Maßnahmen für die Optimierung des Working Capital. Die einzelnen Unternehmensbereiche, die Einfluss auf die Komponenten des Working Capital haben, sollten im Rahmen solcher Umstrukturierungen bzw. Optimierungsmaßnahmen stets als Gesamtkonstrukt betrachtet werden, sodass die jeweiligen Veränderungen nachvollzogen und richtig interpretiert werden können – denn nicht selten führt die Anpassung eines Faktors zu einer (unerwarteten) Veränderung einer weiteren Komponente. Die schlichte Optimierung aller Einzelbestandteile bedeutet demnach nicht zwingend eine Gesamtverbesserung des Working Capital Levels, wenn Wechselwirkungen zwischen den „Puzzleteilen“ nicht berücksichtigt bzw. in den Optimierungsprozess miteinbezogen werden.
Entwicklungen & Veränderungen durch Kriseneinflüsse: Trade-Off-Entscheidungen
Grundsätzliches und übergeordnetes Ziel des Working Capital Managements mit entsprechenden Optimierungsansätzen ist die schlussendliche Verbesserung der Liquiditätssituation bzw. die optimale Verwendung von freier Liquidität im Sinne der Steigerung der Unternehmensperformance. Die (relativ einseitige) Optimierungsstrategie im Zuge des Working Capital Managements (maximal späte Begleichung von Verbindlichkeiten, möglichst schnelle Eintreibung von Forderungen bei gleichzeitiger Senkung der Vorräte) ist in den letzten Jahren jedoch ohnehin schon holistischeren Ansätzen bis hin zur Working Capital Optimierung unter dem Blickwinkel der gesamten Wertschöpfungskette als „einheitliches Target“ gewichen. Durch die krisengetriebenen Entwicklungen binnen der letzten zwei Jahre wurden aber einmal mehr ganz neue Herausforderungen für die Prozesse von (v.a. produzierenden) Unternehmen deutlich, die wiederum neue Variablen in die „Formel“ des Working Capital bringen, welche bislang unter Umständen weniger kritisch betrachtet wurden, die Optimierungsansätze hingegen um ein Vielfaches verkomplizieren.
Die (strukturellen) Einflussfaktoren des Working Capital finden sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette und demnach in den jeweiligen Lieferkettenprozessen wieder. Die – mit Blick auf das einzelne Unternehmen – normalerweise offensichtlichen Optimierungsansätze gehen dabei stets auf die Parameter Reduktion und Beschleunigung zurück. So wird bspw. durch die Reduktion von Serviceniveaus, verschiedenen Lieferanten, Vorlaufzeiten, Lagerstätten, etc. ein hohes Maß an Standardisierung als Ziel verfolgt, das wiederum zur Beschleunigung des Prozesszyklus führt und somit ein bedeutendes Plus auf Seiten des Working Capital mit sich bringen kann. Demgegenüber steht allerdings der Faktor Planbarkeit und nicht zuletzt auch der Sicherheitsaspekt, dessen Relevanz insbesondere in krisengeprägten Zeiten nicht zu unterschätzen ist. Was geschieht, wenn der Top-Supplier nicht liefern kann? Oder Lieferungen nur an bestimmte Standorte bzw. nur in unregelmäßigen Abständen erfolgen können? Diese und damit einhergehende Fragestellungen beschäftigen aktuell einen Großteil der Industrie und führen zu einer Veränderung der Prioritäten. Denn das übergeordnete Ziel besteht zunächst in der grundsätzlichen Aufrechterhaltung der Wertschöpfungsprozesse – Voraussetzung hierfür ist wiederum die Sicherstellung der Lieferfähigkeit aller essenziellen Inputgüter. Dies führt vermehrt zu einer risikoaverseren Herangehensweise im Hinblick auf das Vorratsmanagement und die Auswahl der Bezugsquellen (bspw. die Aufrechterhaltung verschiedener Lieferanten, mehrerer oder größerer Lagerkapazitäten und schließlich die Erhöhung von Bestellmengen und Vorräten). Zudem wird tendenziell ein höherer Sicherheitspuffer eingeplant. Diese Aspekte im Rahmen des übergeordneten Ziels – die Sicherstellung der Lieferfähigkeit zur Aufrechterhaltung der Wertschöpfungsprozesse – gehen allerdings zu Lasten des Working Capital Levels.
Generell stellt sich also die Frage, worin die absolute Priorität liegt bzw. liegen sollte – hier muss demnach eine Trade-Off-Entscheidung zwischen schlichter (theoretischer) Optimierung und dem Faktor Sicherheit getroffen werden bzw. kann an dieser Stelle resümiert werden, dass das Optimum nicht allein auf singulärer Basis des jeweiligen Unternehmens getroffen werden kann, sondern die gesamte Prozesskette und weitere, externe (Unsicherheits-)Faktoren in die Überlegungen miteinbezogen werden müssen. Aufgrund der durch die jüngsten Krisenzeiten hervorgerufenen „neuen Realitäten“ scheint ein Umdenken hinsichtlich des Optimierungsansatzes in der Tat sinnvoll – und demnach sollten ebenso die Vergleichsmaßstäbe des Working Capital angepasst und nicht jene des Vorkrisenniveaus herangezogen werden. Dieses Thema ist auch im M&A-Kontext von Bedeutung und muss sowohl von Verkäufer- als auch Käuferseite im Hinblick auf die generelle Ausrichtung der Unternehmensstrukturen sowie auch im Zuge der Kaufpreisgestaltung und -komponenten (Stichwort: Überleitungsrechnung und Working Capital Ausgleich) berücksichtigt werden.
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